Banner für die Seiten zum Sozialrecht

Leben leben trotz Therapie

    Wie sagt man so schön Sex, Drugs und Rock’n’Roll. Rock’n’Roll haben wir früher gesagt. Heute sagen wir Party! Party machen, Leben genießen, feiern. Das ist aber bei Krebs gar nicht so einfach. Die Frage ist: Wann geht was und mit einer Krebserkrankung? Dieser wichtigen Frage gehen wir in diesem Film zum Thema „Rock den Krebs – Leben leben trotz Therapie“ mit Dr. Johannes Wimmer und Dr. Jens Stäudle nach!

    YouTube

    Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
    Mehr erfahren

    Video laden

    Dr. Wimmer: Bei einer Krebserkrankung wird der erste Gedanke nicht dem Feiern gelten. Aber irgendwann will man auch wieder unter Leute. Worauf muss man achten?

    Dr. Stäudle: Ein junger Mensch hat die Diagnose einer Leukämie-Erkrankung. Er wird zuerst im Krankenhaus für vier, sechs oder acht Wochen „eingesperrt“. Liegt man zum Beispiel auf einer hämatologischen Intensivstation, auf der die Fenster nicht aufgehen, kommt relativ schnell der Wunsch auf, wieder mit Leuten zusammen zu sein, gewohnte Sachen zu machen, Dinge zu tun, die einem guttun und die man bisher gern gemacht hat. Und die wir Menschen auch machen, weil sie wirklich guttun.

    Dr. Wimmer: Das ist wichtig und nicht unvernünftig. Menschen brauchen Menschen. Es muss nicht gleich das Riesenfestival sein, man kann klein anfangen, in eine Kneipe gehen, mit Freunden abends zusammen was trinken, schönes Essen zu Hause machen oder Essen gehen, vielleicht auch mal wieder in einen Club gehen. Da fragen sich viele: Kann ich das? Darf ich das oder bringt mich das um? Wie geht ihr mit diesen Patienten um?

    Dr. Stäudle: Wir versuchen das in dem Rahmen aufzufangen, was möglich ist. Darf man wenig Kontakte haben, weil zum Beispiel das Immunsystem zu stark geschwächt ist, geht vieles nur digital. Deshalb ermutigen wir die Leute einen guten Monitor oder Laptop mitzubringen, damit man über soziale Medien in Kontakt ist oder gemeinsam Computer spielt. So kann man mit den Leuten, die einem wichtig sind, in Kontakt bleiben.

    Wenn man wieder aus dem Krankenhaus raus und nicht in der Akuttherapie ist, sollte auch abgewägt werden: Was geht, was geht nicht.

    Dr. Wimmer: Die Ärztinnen und Ärzte sagen natürlich nicht: Gehen Sie mal wieder unter Leute, das tut Ihnen gut. Sondern eher: Sie müssen vorsichtig sein. Und das kommt einem wie ein Verbot vor. Wie finde ich für mich den Zeitpunkt, der ok ist wieder auszugehen?

    Dr. Stäudle: Man sollte schauen, was gefährlich ist. Mit Corona haben wir gelernt, dass enge Räume und viele Menschen immer schlechter sind als Outdoor-Aktivitäten. Man sollte abwägen, was einem wirklich wichtig ist. Will man mit zwei oder drei Freunden zusammen kochen und Zeit verbringen, ist dies häufig recht schnell wieder realisierbar.

    Dr. Wimmer: Gefährlich heißt hier, dass man bei einer Chemotherapie oder Bestrahlung empfänglicher für Erkrankungen ist, die bei anderen vielleicht banal sind oder gar nicht vorkommen.

    Dr. Stäudle: Man muss unterscheiden, welche Immunschwächen normal nach einer Chemotherapie sind. Diese kommen immer wieder vor und da sollte man aufpassen und nicht in Riesenmenschenmengen gehen.

    Oder aber bei einer Leukämie-Erkrankung. Was ist zum Beispiel nach einer Stammzellen Transplantation? Hier wird das Immunsystem über längere Zeit unterdrückt und es gibt längere Lebensphasen, in denen die Immunschwäche stärker ist. Und in dieser Zeit merkt man selbst, dass man langsam machen muss. Und da ist klar, dass ein Festival in einer Halle definitiv schlecht ist. Und wenn es ein Open-Air-Konzert ist, muss ich vorne im Pulk tanzen oder kann ich vielleicht auch auf ein Festival mitgehen und schlafe im VW Bus anstatt im Zelt? Also man kann schon überlegen, was hygienisch ok ist.

    Ist dieser Chemotherapie Zyklus zu dem Zeitpunkt, an dem ich jedes Jahr mit meinen Freunden Skifahren gehe und einfach nur gerne auf der Hütte dabei sein würde. Muss da vorher die Chemotherapie genau zu der Zeit sein?

    Dr. Wimmer: Aber das ist ja schon Königsklasse des sich Durchsetzens in der Medizin als Patient oder Patientin. Man ist den Ärzten dankbar, dass man behandelt wird, und während der Zyklen sind diese ja sehr streng und wollen den Zeitplan einhalten. Da hat man das Gefühl, dass man nur diesen einen Zeit Slot bekommt.

    Also ist es okay zu sagen: Ich brauche noch eine Woche, wenn einem etwas wirklich wichtig ist wie z. B. eine besondere Reise oder eine Veranstaltung, ob das nun der 90. Geburtstag von der Oma ist oder ein Kurztrip mit den Freunden.

    Dr. Stäudle: Ich erlebe es, dass in der Klinik Rücksicht darauf genommen wird, wenn man es benennen kann. Es gibt natürlich Therapiephasen in denen die Ersttherapie nicht warten kann, da sonst Gefahr in Verzug ist. Aber im Normalfall können Folgetherapiezyklen etwas geschoben werden, wenn man miteinander redet.

    Und ich erlebe, dass viele Ärzte auf Wünsche eingehen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Wichtig ist, sich nicht alles verbieten zu lassen, sondern zu sagen: Ich sollte nicht auf das Festival gehen, aber ich möchte trotzdem hin. Auf was muss ich achten? Der Arzt kann Tipps geben, wie das Risiko geringgehalten werden kann, z. B. tragen Sie eine Maske, schauen die Leute Sie halt komisch an, aber dafür können sie dabei sein.

    Dr. Wimmer: So funktioniert Medizin auch besser denke ich. Man entscheidet sich etwas zu unternehmen, es sei denn der Arzt zeigt gute Gründe dagegen auf. Ansonsten soll er helfen, das Vorhaben umzusetzen.

    Das ist ein Riesenswitch in der Medizin. Ich habe es früher das Professor Brinkmann-Syndrom aus der Schwarzwaldklinik genannt: Der Arzt sagt: „So machen Sie das und nur so“. Heute ist eher so, dass der Arzt mit dem Patienten folgendermaßen umgeht: „Das ist deine Situation, wie wollen wir da zusammen draufschauen und wie sieht der Weg gemeinsam aus?“

    Dr. Stäudle: Man kann Lösungen finden, beispielweise auch mit dem Sport. Solange die Blutbildung so schlecht ist, dass die Blutgerinnung schlecht ist, ist Mountainbiken, Downhill fahren etc. natürlich nicht so eine gute Idee. Aber man kann überlegen, was trotzdem geht. Beim Skifahren zum Beispiel: Man muss nicht auf die Piste, aber man kann trotzdem mit in die Berge fahren.

    Dr. Wimmer: Ich kann auch vor der Klinik vom Bus überfahren werden, aber es ist immer der schmale Grat zwischen: „Ich mach das, weil ich es brauche, weil es mir guttut, weil es Lebensqualität ist“ oder „Ich bin töricht“. Viele Menschen mit einer Krebserkrankung, die ich kenne, sagen: „Geht es darum, mein Leben mit möglichst vielen Jahren zu füllen oder die Jahre, die ich habe, mit Leben zu füllen“?

    Dr. Stäudle: Deshalb ist es wirklich gut, die Sachen anzusprechen, bevor man etwas Törichtes macht. Bespricht man die Blutwerte und weiß, dass der Patient wenig Blutplättchen hat und die Gerinnung dadurch schwierig ist, kann man auf die Situation eingehen, dass er z. B. Mountainbiken gehen will, als wenn er einfach geht, ohne darüber zu sprechen.

    Die Mehrzahl der Ärzte lassen sich heutzutage auf gemeinsame Überlegungen ein, wenn man mit ihnen darüber spricht. Auch sie sehen, dass Lebensqualität wichtig ist. Die Bedürfnisse der Patienten werden nicht als ein negativer Part angesehen, nach dem Motto: Jetzt will der Patient nochmal etwas. Es ist enorm wichtig, Lebensqualität und Ablenkung zu haben, damit sich nicht alles nur um die Krankheit dreht und das Zentrum des Lebens die Krankheit ist.

    Dr. Wimmer: Musst du häufiger bremsen oder ermutigen?

    Dr. Stäudle: Ich habe eine Mittlerrolle. Die Ärzte sind eher vorsichtig und ich bin derjenige, der sagt: Lebensqualität ist wichtig. Wie ist was möglich?

    Es hängt natürlich von der Persönlichkeit ab. Wir haben Menschen, die sehr vorsichtig sind, aufpassen und nichts falsch machen möchten. Denen kann man Mut machen und sagen: „Was tut dir gut, was hat dir sonst immer gutgetan? Was sind deine Themen, was verbindest du mit Lebensqualität?“

    Und es gibt schon auch die anderen, bei denen man sagen muss: „Mach mal langsam“, wenn man ein WhatsApp Foto bekommt vom Mountainbiken….

    Dr. Wimmer: Es ist Jeder wie er ist. Einen schönen Spruch, den ich aus der Psychiatrie mitgenommen habe, ist:

    Persönlichkeit kann man niemandem vorwerfen. Wir sind wie wir sind!

    Aber es ist natürlich wichtig, dass man die Mischung hinbekommt und sagt: Leben nicht verkürzen, sondern die Medizin nutzen. Aber trotzdem natürlich auf die Qualität achten. Sich nicht das Leben verbieten lassen. So ist das!

     

    Logo der Stiftung

    Ein Projekt der Strube Stiftung

    © Strube Stiftung | 2024