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Alles zur Therapie einer akuten lymphatischen Leukämie

Die Therapie einer akut lymphatischen Leukämie hat in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht. Viele Fragen rund um die Therapie werden mit Herrn Professor Aulitzky, Chefarzt der Onkologie und Hämatologie, vom Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart besprochen.

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Therapieort

Nach der Diagnose Akute Leukämie ist der Therapieort ein wichtiges Thema. Ist es egal, wo die Therapie gemacht wird? Oder sollte diese an einem Zentrum gemacht werden?

Die Pläne, nach denen behandelt wird, sind überall gleich in Deutschland. Es gibt in Deutschland eine große Studienvereinigung, die diese Pläne festlegt. Diese sind nicht bindend, aber es gibt niemanden in Deutschland, der nicht nach diesen Plänen behandeln würde. Damit ist sichergestellt, dass aus diesen Erfahrungen gelernt werden kann. Deshalb nehmen viele Menschen an diesen Therapien im Rahmen von Studien teil, um diese Entwicklung voranzutreiben.

Orientiert am Beispiel der Kinderleukämien konnte die Heilungsrate durch Modifikation der Therapie mit denselben Substanzen von 40% auf 80% gesteigert werden. Das ist eine der großen Erfolgsgeschichten und daher ist dieser Zusammenschluss von allen Behandlern wichtig.

Verzögerungen bei der Therapie reduzieren die Heilungsrate. Deshalb spielt die Behandlungserfahrung bzw. die Behandlererfahrung eine wesentliche Rolle. Es empfiehlt sich daher ein Zentrum, welches das nicht nur zweimal im Jahr macht.

Wie viele Patienten mit einer akuten lymphatischen Leukämie haben Sie gesehen?

In der Funktion, in der ich bin, habe ich ungefähr 200 Patienten gesehen. In 20 Jahren ist das keine große Zahl, trotzdem ist das RBK eines der größeren Zentren in Deutschland in der Behandlung dieser Patienten und kann daher auf gute Erfahrungen zurückgreifen.

Abläufe der Therapie

Bei den Kombinationschemotherapien versucht man in hochkomplexen Schemata mit verschiedenen Substanzen die Heilungsrate hochzudrehen. Es werden eine ganze Menge verschiedener Chemotherapeutika einsetzt. Die Zahl der Substanzen liegt zwischen 15 und 20. Diese werden nach exakt vorgesehenen Abläufen, inklusive präzise vorformulierter Empfehlungen für Dosismodifikationen in Abhängigkeit von Ereignissen, verabreicht.

Man weiß ganz genau, wann man reduzieren muss, wann man verzögern soll, auf welche Parameter man bei welcher Substanz besonders achten muss. Die Pläne sind hochkomplex. Die Protokolle haben ungefähr 180 Seiten. Darin ist alles genau festgelegt. Diese Festlegungen beruhen auf einer Erfahrung von 40 Jahren, die in dieser Studiengruppe sequenziell gewonnen wurde. Daher sind es definitiv keine Therapien, bei denen man leichtfertige Entscheidungen fällen kann. Jede Information ist begründet, da man in der Behandlungsintensität an die Grenze geht – manchmal an die Grenze des Lebens. Diese intensiven Therapien haben gefährdende Nebenwirkungen. In dieser Situation sind Kompromisse nicht erlaubt. Ist man zu wenig intensiv, riskiert man Heilungschance. Ist man zu intensiv, riskiert man Lebensbedrohung durch Toxizität. Deshalb müssen diese Therapien mit großer Aufmerksamkeit durchgeführt werden. Dann erreicht man gute Ergebnisse.

Induktion – Konsolidierung – Erhaltung

Induktion nennt man Therapien, die dazu da sind, die Leukämie wegzubekommen und eine komplette Rückbildung der Leukämie zu sehen.

Konsolidierungen sind Therapieformen, die in kompletter Remission dazu da sind, die Heilungsrate zu steigern.

Erhaltungstherapien sind weniger intensive Therapien, die nach dem Abschluss der intensiven Therapien fortgesetzt werden, um die Heilungsrate zu begünstigen.

Müssen immer alle drei Therapien gemacht werden?

Die Empfehlung ist alles zu machen. Jede der Gesamtkomponenten begünstigt die Heilungsrate. Macht man Kompromisse, die nicht die vorgesehenen Kompromisse sind, weiß man nicht, wie groß der Verlust an Heilungsrate ist. Und daher ist die Empfehlung ohne triftigen Grund (triftige Gründe können Nebenwirkungen und Belastungen sein) nichts an dem Plan zu ändern.

Wo fügt sich eine eventuelle Stammzelltransplantation ein?

Das hängt davon ab, wann der Spender zur Verfügung steht. Meistens in den Konsolidierungstherapien oder danach. Die Induktionstherapie muss auf jeden Fall vorher gemacht werden. Wenn dann noch kein Spender vorhanden ist, wird die Konsolidierungstherapie angeschlossen. Und dann würde man sich aber einen guten Teil der Konsolidierungen ersparen und Richtung Stammzelltransplantation gehen.

Welche Entscheidungskriterien neben der Verfügbarkeit des Spenders sprechen für eine Stammzelltransplantation?

Die wichtigste Entscheidung fällt anhand der Abschätzung der Heilungsrate ohne Transplantation. Wenn jemand beispielsweise ohne Transplantation eine Heilungschance von 80% hat, würde man das Risiko der Transplantation 80% der Menschen zumuten, ohne dass sie einen Nutzen haben. Daher wäre das nicht sinnvoll. Bei einer Heilungschance ohne Transplantation von 20% weiß ich, dass man den überwiegenden Teil der Menschen dieses Risiko nicht ohne entsprechenden Nutzen zumutet. Daher ist diese Abschätzung von entscheidender Bedeutung, ob ein Mensch von einer Transplantation einen Nutzen hat oder nicht.

Insgesamt entscheiden drei Kriterien über eine Stammzelltransplantation: Der Typ der Leukämie, die Genetik der Leukämie und das Ansprechen der Therapie. Durch lange Erfahrungen großer Patientengruppen aus ganz Deutschland hat man sehr präzise Vorstellungen, wann diese Risiken so hoch werden, dass Menschen die Transplantation benötigen.

Berufstätigkeit während der Therapien?

Die Induktionstherapie ist so heftig, dass man nicht viel ausrichten kann. Das Hauptproblem der Induktionstherapie ist die Tatsache, dass der Patient in die Therapie mit einer vollen Leukämie reingeht. Man muss zuerst die Leukämie bekämpfen, bevor sich die gute Blutbildung erholen kann. Und damit ist die Dauer, die zu überbrücken ist, deutlich länger als bei den Folgetherapien. Und das macht die Belastung aus.

Die Induktionstherapie ist die längste Phase, in der die Patienten ohne gute Blutbildung leben müssen und in der man die fehlende Blutbildung durch Antibiotika, durch Bluttransfusionen und durch alle möglichen Schutzmaßnahmen folgenlos halten muss.

Kann man bei der Konsolidierungstherapie arbeiten gehen?

Berufstätige sind eher die Ausnahme. Fast alle Menschen sind während der ganzen Behandlungsdauer im Krankenstand und das macht es unter Umständen nicht ganz unproblematisch, weil der Krankenstand in Deutschland nur 70 Wochen lang funktioniert. Und akute lymphatische Leukämiepatienten können da an die Grenze kommen. Das ist eine der Erkrankungen, bei der das etwas knapp bemessen ist. Trotzdem sind die Schwächung und die Einschränkung in der Leistungsfähigkeit die meiste Zeit so groß, dass eine volle Berufstätigkeit nicht funktioniert.

Leben während der Erhaltenstherapie

Bei der Erhaltungstherapie kann man zurück ins Leben. Auch an die Berufstätigkeit kann hier gedacht werden. In den Vortherapien kann man auch leben, z. B. auch Sport treiben aber auf einem Leistungsniveau, das man von der Zeit davor nicht gewohnt ist. Man ist also schon eingeschränkt. Aber das heißt nicht, dass man nicht wegfahren kann oder Urlaub machen kann. Aber man ist in seiner allgemeinen Leistungsfähigkeit, zwar in wechselndem Ausmaß, schon lange Zeiten erheblich eingeschränkt.

Verhalten in den Therapielücken

Glücklicherweise sind die Therapien nicht komplett durchgängig. Was ist in diesen Zeiten möglich? Es gibt Zeiten, in denen es einem richtig gut geht und in den Zeiten kann man auch prinzipiell alles machen, was Freude bereitet. Man kann Sport machen, muss damit rechnen, dass das Leistungsniveau etwas tiefer ist, kann raus, kann essen, was man will, man darf sogar gelegentlich ein Glas Wein trinken, wenn es einem Spaß macht.

Es gibt in der Zeit eigentlich wenige Einschränkungen. Auch der Kontakt mit Freunden oder mit Partnern ist uneingeschränkt möglich. Solange diese Partner nicht gerade Ausscheider von Infektionserregern sind, weil sie selbst krank sind. Aber mit einem gesunden Menschen darf man selbstverständlich auch partnerschaftlich engen Körperkontakt haben.

Nach den Therapien

Wie ist die Zeit nach den Therapien? Kann ich wirklich in mein altes Leben zurück?

Die meisten Menschen erholen sich weitgehend. Weitgehend heißt, dass ein Leben mit genauso viel Lebensfreude, wie vor der Therapie möglich ist. Weitgehend heißt nicht unbedingt, dass ich im Hochleistungsbereich gleich bleibe wie vorher.

Es gibt aber auch Menschen, die eine Einschränkung ihrer Leistungsfähigkeit behalten.

Wenn man mit groben Messparametern Leistungsfähigkeit misst, erreichen die meisten Patienten so circa ein Jahr nach der Therapie ihre alte Leistungsfähigkeit wieder. Wenn man genauer misst, bleiben gewisse Einschränkungen bestehen. Die äußern sich zum Beispiel folgendermaßen: Ist man vor der Krankheit am Abend nach der Arbeit noch ins Kino gegangen, geht das nach der Therapie unter Umständen nicht mehr, weil man sich nach der Arbeit fühlt, als wenn man den Stecker herausgezogen hat. Die Leistungsgrenze ist ein bisschen enger als sie vorher war.

Es ist wichtig, dass die Angehörigen das wissen. Eins der seelischen Probleme für Betroffene ist oft, dass die Erwartung, dass man sofort wieder topfit ist, nicht gleich eintritt und auch die Erwartung, durch die Umgebung eher zu einer Belastung werden kann, weil die Umgebung sich denkt: Jetzt war er lang genug krank, jetzt schaut er wieder fit aus. Aber es dauert halt doch bis man sich in dem Leben danach wieder so eingerichtet hat, dass man sich so fühlt wie vorher.

Was ist konkret nach den Therapien möglich?

Wandern ist auf jeden Fall möglich und tut gut.

Gegen das Reisen spricht prinzipiell nichts. Bei Reisen in ferne Länder, in denen es eventuell nicht so gute medizinische Versorgung gibt, sollte man aufpassen. Es gibt Gegenden, in denen man Lebendimpfstoffe braucht. Da muss man gewisse Zeit warten, bis diese gegeben werden dürfen. Gelbfieber-Regionen sollte man deshalb meiden.

Es gibt auch ein gewisses Rückfallrisiko und dieser Rückfall kann zu einem unvorhersehbaren Zeitpunkt auftreten. Bevor man eine Reise in ein Land antritt, das möglicherweise ein problematisches Gesundheitssystem hat, sollte vorher das Blutbild überprüft werden, ob nichts im Anmarsch ist. Dann wäre es prinzipiell möglich, exotischere Reiseziele anzustreben.

Wenn ich nicht exotisch verreise, kann ich in meiner Heimat exotisch essen?

Bei Rohmaterialien sind wir immer etwas zurückhaltend. Wir glauben, dass z. B. Sushi viele Krankheitserreger hat, aber wir wissen es nicht. Sushi würde ich jedenfalls nur essen, wenn es frisch ist. Das gilt auch für Menschen, die keine akuten Leukämien haben. Man kann es wahrscheinlich essen, es ist nicht belegt, dass es dadurch spezielle Risiken gibt. Aber wenn nicht gekochte Nahrungsmittel eine Weile stehen, ist das Risiko einer Erkrankung etwas größer.

Und einfach mal wieder feiern mit den Freunden? Mit gesunden Leuten spricht nichts dagegen. Anstecken sollte man sich nicht und nach der Therapie ist man wieder frei. Irgendwann kommt Normalität.

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