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Alles zur Diagnose des Multiplen Myeloms

Die Diagnose eines Multiplen Myeloms ist aufwändig und kompliziert. Wie diese abläuft, besprechen wir in diesem Video mit Privatdozentin Dr. Giesen vom Comprehensive Cancer Center Tübingen, Stuttgart.

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Warum kommen die meisten Betroffenen zum Arzt?

Das Multiple Myelom kann sich mit vielen verschiedenen Symptomen äußern. Ein Teil der Patienten hat keine Beschwerden, sodass es in dem Fall ein Zufallsbefund ist. Bei den Patienten, die mit Beschwerden kommen, sind die Knochenschmerzen der häufigste Grund, die sich typischerweise schon über einen längeren Zeitraum erstrecken. Oft haben die Patienten schon eine gewisse Leidensgeschichte hinter sich.

Blutarmut (allgemeine Schwäche, Leistungsminderung) oder schäumender Urin sind weitere Symptome, die ebenfalls zum Arzt führen können.

Ist bei der Diagnostik der erste Schritt eine klassische Anamnese?

Das Wichtigste ist mit dem Patienten zu sprechen. Bei der Anamnese fragt man die verschiedenen Symptome ab. Sind Knochenschmerzen da? Wo sitzen die Knochenschmerzen? Seit wann sind die Schmerzen da? Frage nach Blutbildveränderung (Leistungsknick), Belastbarkeit beim Laufen oder Treppensteigen? Häufigere Infektionen?

Frage nach der Niere ist wichtig. Einige Myelom-Patienten haben viel Eiweiß im Urin, und das kann sich durch schäumenden Urin äußern.

Bild Nieren

B-Symptomatik: Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust. Kribbelgefühl oder Taubheitsgefühlen an Fingern oder an Zehen, denn in seltenen Fällen können sich diese Eiweiße, die beim Myelom entstehen, auch an Nervenenden ablagern und dann beispielsweise zu diesen Beschwerden führen.

Was wird bei der Labordiagnostik abgefragt?

Nach dem ausführlichen Gespräch und der körperlichen Untersuchung schließt sich im Regelfall eine lange Liste an Laboruntersuchungen an, sowohl vom Blut als auch vom Urin, bei denen wir nach verschiedenen Schädigungsorte des Multiplen Myeloms schauen. Blutbild, Nierenfunktion und Blutsalze (Serumelektrolyte) werden betrachtet. Insbesondere das Kalzium interessiert uns und wir schauen uns die Eiweißlage im Körper an.

Das Multiple Myelom stammt von den Plasmazellen ab. Die Plasmazellen bilden Eiweiß (Antikörper). Das Multiple Myelom ist eine klonale Erkrankung, bildet ein monoklonales Eiweiß und das können wir nachweisen.

Wir untersuchen das Blut auf die allgemeinen Antikörpergruppen (Immunglobuline). Es gibt verschiedene Untersorten: Immunglobulin G beispielsweise oder A oder M. Diese schauen wir uns an.

Im Rahmen einer Serumelektrophorese wird geschaut, wie viel von jeder einzelnen Eiweißsorte da ist. Das menschliche Blut ist voller verschiedener Eiweiße, die unterschiedliche Funktionen haben, unter anderem die Immunglobuline und in dieser Serumelektrophorese können wir das monoklonale Eiweiß nachweisen. Der normalerweise runde Peak der Gammaglobuline hat dann einen steilen Peak und das ist das sogenannte monoklonale Eiweiß, das da nicht hingehört.

Mit einer Immunfixationselektrophorese gibt man dem Ganzen noch einen Namen: Monoklonales Eiweiß vom Typ beispielsweise IgG Kappa oder IgA Lambda. Das ist spezifisch für den jeweiligen Patienten. Die Namen setzen sich aus den Schwerketten und den Leichtketten der Antikörper zusammen.

Wie sind die Antikörper aufgebaut?

Sie haben typischerweise die Y-Form. Unten sind die Schwerkette und oben an den beiden Ärmchen, da ist jeweils noch eine leichte Kette. Bei den Schwerketten unterscheiden wir typischerweise IgGA und M. Es gibt noch seltenere Varianten, aber das sind sicherlich die häufigeren.

Wie ist ein Antikörper aufgebaut? Wo sind die Leichtketten und wo die Schwerketten?

Bei den Leichtketten gibt es den Typ Lambda und Kappa und daraus puzzelt sich für den jeweiligen einzelnen Myelom-Patienten sein spezifisches monoklonales Eiweiß zusammen, beispielsweise IgG Kappa oder IgA Lambda.

Es gibt auch Myelom-Patienten, die keine Schwerkette mehr bilden, sondern nur noch Leichtketten und davon viel zu viele. Das ist ein sogenanntes Leichtketten-Myelom, Typ Lambda oder Typ Kappa.

Das ist zum einen wichtig für die Erstdiagnose, um festzustellen, ob der Patient eine Gammopathie (Eiweißstörung) hat oder eventuell ein Multiples Myelom. Andererseits können wir diese Eiweiße auch nutzen, um unter einer Therapie zu überprüfen, ob der Patient anspricht, denn wenn wir weniger Myelom-Zellen haben, wird weniger Eiweiß gebildet. Das ist ein wertvoller Marker, den wir im Verlauf kontrollieren können, um zu schauen, wie viel Prozent von den Myelom-Zellen mit der Therapie abgetötet wurden, denn das Eiweiß im Blut und auch im Urin ist dann um soundso viel Prozent zurückgegangen.

Macht es einen Unterschied welche Variante man hat oder ist das nur für die Diagnostik wichtig?

Der wesentliche Punkt ist die Diagnostik, damit man weiß, welches Eiweiß man verfolgen muss. Gerade bei den Vorläufererkrankungen (MGUS) fließt es aber durchaus auch in gewisse Prognose Scores ein. Von daher hat es mehrere Funktionen.

Es wird sowohl das Serum als auch das Blut und der Urin untersucht. Die Myelom-Patienten müssen einen Sammelurin zur Untersuchung mitbringen, der auf diese Eiweiße untersucht wird (ob klonales Eiweiß nachweisbar ist). Im Urin spricht man vom Bence-Jones-Protein. Das war ein Engländer, der Urin von Myelom-Patienten untersucht hat.

Wird eine Knochenmarkpunktion gemacht, um zu untersuchen, was im Knochenmark vorzufinden ist?

Ja. Wir können im Regelfall die Myelom-Zellen nicht in größerem Maße im peripheren Blut, also der normalen Blutabnahme nachweisen, sodass wir am Ort des Geschehens im Knochenmark nachschauen müssen. Das macht man typischerweise am Beckenkamm mit einer örtlichen Betäubung, denn da ist Knochenmark und da kommt man relativ gefahrlos dran. Da piekst man einmal mit einer etwas dickeren Nadel durch die Knochenschale durch in diesen Schaumknochen und saugt flüssiges Knochenmark raus. Im Regelfall nimmt man auch noch ein winziges kleines Knochenstückchen für den Pathologen raus, um zu überprüfen, ob vermehrt Plasmazellen da sind.

Knochenmarkpunktion. Wo wird das Knochenmark entnommen?

Beim Myelom-Patienten hat man typischerweise mehr als 10% dieser Plasmazellen (beim Gesunden bis zu 5%) und die sehen oft auch nicht in Ordnung aus. Haben mehrere Kerne oder sind zu groß oder sehen nicht so aus wie eine normale Plasmazelle. Das schaut man sich unterm Mikroskop an und untersucht die Plasmazellen zusätzlich auf genetische Schäden (nicht im Sinne einer Erbkrankheit).

Wie sieht das Knochenmark bei einem gesunden Menschen aus und wie bei einem mit Multiplen Myelom?

Die Plasmazellen haben typischerweise immer irgendwelche Chromosomenveränderungen. Bestimmte Chromosomenveränderungen sind mit einer ungünstigen Prognose vergesellschaftet, beispielsweise bei der Deletion 17p weiß man, dass das schlecht ist.

Deletion, Zugewinn und Translokation

Beim Myelom gibt es verschiedene Veränderungen. Bei der Deletion fehlt ein Stückchen. 17p heißt das 17. Chromosom und p heißt der kurze Arm. P und Q, kurzer und langer Arm von den Chromosomen und da fehlt ein Stückchen vom kurzen Arm vom 17. Chromosom. So sind die zyto-genetischen Abkürzungen.

Es gibt auch Veränderungen, bei denen etwas zu viel ist, zum Beispiel einen Zugewinn von 1q, das heißt vom langen Arm Q von Chromosom 1. Auch das ist eine genetisch ungünstige Veränderung.

Dann gibt es noch die Translokationen. Da ist ein Chromosom mit einem anderen Chromosom zusammengebaut. Die gehören eigentlich nicht zusammen, zum Beispiel Translokation 4;14. Da ist ein Teil vom Chromosom 4 an ein Teil von Chromosom 14 angebaut. Die Myelom-Zellen teilen sich ja mehr als eine normale Zelle und da kann es zu diesen Fehlern kommen, die diese chromosomalen Veränderungen hervorrufen.

Und wir wissen, dass bestimmte Veränderungen mit einer schlechteren Prognose vergesellschaftet sind. Da schauen wir speziell nach, um unsere Patienten so gut wie möglich aufklären zu können. Und wir reagieren auch mit der Therapie darauf. Wenn solche ungünstigen Veränderungen vorliegen, müssen wir teilweise intensiver und länger behandeln. Das sind wesentliche Information für die Therapieplanung.

Die bildgebende Diagnostik

Die Knochen sind ein Organ, welches beim Multiplen Myelom schwerpunktmäßig betroffen ist. Viele Myelom-Patienten haben Knochenschmerzen, Knochenlöcher und da muss man genau wissen: Sind welche da und wenn ja, wo und wie groß und muss man aktiv werden, möglicherweise operieren oder bestrahlen. Früher wurden alle möglichen Knochen konventionell geröntgt. Aber gerade bei der Wirbelsäule, wo die Knochen ganz eng aufeinandersitzen, ist die Auflösung schlecht. Mittlerweile haben wir die 3D Darstellung in der Röhre mit einem Ganzkörper CT. Das ist mittlerweile die Standarduntersuchung beim Multiplen Myelom. Wir machen ein sogenanntes Low-dose-CT, da braucht man kein Kontrastmittel, denn der Kalk im Knochen ist ein exzellentes Kontrastmittel. Das geht relativ schnell, was wichtig ist, denn mit Rückenschmerzen will man nicht eine Stunde in einer Röhre liegen und das ist auch nicht so beengt. Damit hat man eine gute 3D Auflösung, um zu schauen ob Löcher im Knochen sind und ob man aktiv werden muss.

Bild einer Röhre, in der man ein CT macht

Ganzkörper heißt wirklich CT vom ganzen Körper?

Von Kopf bis Zeh. In der Praxis sind tatsächlich meistens die Zehen nicht drauf, sondern es hört irgendwo auf der Höhe vom Unterschenkel auf. Aber grundsätzlich kann das Myelom in allen Knochen sitzen, deshalb wollen wir auch alle Knochen anschauen. Das CT ist die Standarduntersuchung, weil wir uns die Knochensubstanz anschauen.

Wir wissen, dass auch andere Untersuchungsmethoden durchaus eine Zusatzinformation geben, die aber aktuell in Deutschland noch nicht der diagnostische Standard an allen Standorten sind. Das ist beispielsweise ein Ganzkörper-MRT. Damit bekommt man eine gute Information übers Knochenmark. Oder das PET-CT, eine Untersuchung, die gerade in den USA viel eingesetzt wird, wo man auch Informationen zur Aktivität von bestimmten Zellen hat.

Vorläufererkrankungen im Rahmen der Diagnostik

Nicht jeder Patient mit einem krankhaften Eiweiß im Blut hat direkt ein Multiples Myelom. Es gibt auch gutartige Vorläufererkrankungen. Die monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS) ist dadurch definiert, dass wir eine Gammopathie haben (krankhaftes Eiweiß), unklarer Signifikanz heißt übersetzt: wissen nicht genau, was wir damit anfangen sollen. Wir messen ein Eiweiß im Blut, aber wir haben noch Plasmazellen unter 10% im Knochenmark. Das Eiweiß ist nicht exorbitant hoch und ganz wichtig, wir haben keinen Endorganschaden, also keine Schädigung von Knochen, Blutbild oder der Niere. Aus diesem MGUS kann sich ein Multiples Myelom entwickeln. Das Risiko ist etwa 1% pro Jahr. Wobei es da durchaus noch mal verschiedene Risikogruppen gibt.

Auf dem Weg vom MGUS zum Multiplen Myelom befindet sich als mittlere Form das sogenannte Smouldering Multiple Myeloma, also ein schmorendes Myelom. Das ist dadurch gekennzeichnet, dass schon etwas mehr Plasmazellen und etwas mehr Eiweiß im Blut sind, aber noch kein Endorganschaden vorliegt. Diese Erkrankungsform wird auch nur beobachtet und nicht behandelt. Da in dem Fall schon mehr von allem da ist, ist die Beobachtung etwas engmaschiger. Die Patienten würde ich häufiger zum Onkologen schicken als ein Patient mit einem MGUS.

Das therapiepflichtige Multiple Myelom

Einen Schritt weiter haben wir das therapiepflichtige Multiple Myelom: Viele Plasmazellen und viel Eiweiß, aber vor allem den Endorganschaden. Das war früher definiert, dass ich entweder schon kaputte Knochen habe, erhöhtes Kalzium, schlechte Niere oder schlechtes Blutbild.

CRAB

Das hat man mit CRAB-Kriterien abgekürzt anhand der englischen Bezeichnungen (C=Calciumerhöhung im Blut, R=Nierenbelastung (R für Renal), A=Anämie=Blutarmut, B=Knochenbeteiligung (B=bone).

CRAB SLiM

Seit einigen Jahren ist man einen Schritt weiter gegangen, dass man zusätzlich zu diesen CRAB-Kriterien (da ist schon was kaputt) noch sogenannte biologische Kriterien hinzugenommen hat. Diese heißen SLiM CRAB Kriterien (S=Anteil der Plasmazelle am Knochenmark ≥ 60 % (S=sixty), Li=Verhältnis der beteiligten zu unbeteiligten Leichtketten im Serum ≥ 100 (Li=light chains), M= Mehr als ein lokaler Herd in der MRT (M=MRT)). Das sind Patienten, die noch keinen Endorganschaden haben, die aber schon so hohe Parameter verschiedenster Art haben, dass der Endorganschaden höchstwahrscheinlich in den nächsten ein, zwei Jahren entstehen wird. Und die will ich auch schon behandeln, denn idealerweise möchte ich ja verhindern, dass es zu Knochenschäden und Nierenschäden kommt. Und diese biologischen Kriterien sind folgende: Wenn ich entweder sehr viele Plasmazellen (über 60%) im Knochenmark habe, wenn ich sehr hohe Leichtketten habe mit einer sehr hohen Leichtketten-Ratio, oder wenn ich im Kernspin (MRT) schon mehrere sogenannte fokale Läsionen sehe. Im Kernspin sehe ich das Knochenmark besonders gut und da sehe ich möglicherweise schon Stellen, woraus eine Osteolyse (Knochenloch) werden könnte, bevor das Knochenloch entstanden ist. Wenn ich diese Vorstufe von den Knochenlöchern schon an mehreren Stellen sehe, wäre das ein Kriterium mit der Behandlung anzufangen, um solche Schädigungen zu verhindern.

Behandlung bei Vorläufererkrankungen?

Für die Betroffenen ist das wichtig zu verstehen. Denn wenn man ein MGUS hat und weiß, dass es mit der Zeit zu einem Multiplen Myelom werden kann, dann wünscht man sich ja eigentlich, dass man sofort was macht.

Ja, das ist nachvollziehbar. Dadurch, dass man zum einen aktuell das Myelom nicht heilen kann und dass das MGUS nur ein Risiko von 1% pro Jahr hat, behandelt man aber nicht alle MGUS-Patienten, weil man den Großteil der Patienten überbehandeln würde.

Man kann das ein bisschen mit einem Muttermal auf der Haut vergleichen. Das kann auch zum schwarzen Hautkrebs werden. Deshalb empfiehlt man: Geh jedes Jahr zum Hautarzt, um es kontrollieren zu lassen. Aber man muss nicht jeden Leberfleck rausschneiden lassen, weil daraus etwas Bösartiges werden könnte. Man beobachtet es, weil es entarten könnte, muss aber nicht. Das ist vergleichbar mit dem MGUS. Das ist dann der Leberfleck des Knochenmarks sozusagen, mit dem man regelmäßig zum Spezialisten (Hämatologen) muss, um zu schauen, ob noch alles in Ordnung ist.

Staging

Beim Staging versucht man zu beschreiben, in welchem Zustand der Patient ist. Aktuell verwendet man das internationale Staging System ISS, welches insbesondere eine prognostische Aussagekraft hat. Das verwenden wir typischerweise bei Patienten mit aktivem Myelom, welches wir behandeln wollen. Das spiegelt ein bisschen wider, wie hoch die Tumormasse ist. Zwei Werte im Blut werden betrachtet. Das Albumin und das Beta-2-Mikroglobulin. Die Aussagekraft des ISS ist besser, wenn es noch mit weiteren Markern kombiniert wird. Einmal mit einem Marker aus dem Blut: der LDH, ein Zellteilungsenzym. Hoch ist schlecht, niedrig ist gut. Das Ganze kann man noch mit den genetischen Risikofaktoren der Knochenmarkpunktion kombinieren. Dann tauft man das ganze Revised ISS, revidiertes überarbeitetes internationales Staging System und kann auch wieder verschiedene Gruppen bilden, um zu sagen, wir haben eher eine sehr günstige Risikosituation oder eher eine ungünstige Risikosituation und das hilft uns dann bei den Therapieentscheidungen weiter.

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