Akute lymphatische Leukämie (ALL)
Professor Aulitzky, Chefarzt der Onkologie und der Hämatologie des Robert-Bosch-Krankenhauses, einem großen Comprehensive Cancer Center in Stuttgart, spricht im folgenden Video über akute Leukämien.
Keine Lust zu lesen? Hier sind alternative Medien:
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Standard. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Weitere InformationenWas bedeutet akute Leukämie?
Akute Leukämien heißen akut, weil sie gefährlich sind. Sie sind unmittelbar bedrohlich, da das Knochenmark meist schon am Beginn der Erkrankung nicht mehr gut funktioniert.
Daher treten die Beschwerden, die das Fehlen der Knochenmarksfunktion verursachen, sofort auf. Diese Probleme können lebensbedrohend sein, wenn die Blutkörperchen, die ein normales Leben ermöglichen, komplett oder weitgehend fehlen.
Ist noch Zeit für eine Zweitmeinung?
Es gibt Situationen, in denen eine Verzögerung der Therapie um 1 bis 2 Tage das Risiko zu sterben steigert. Und bei diesen Situationen ist das Einholen einer Zweitmeinung telefonisch immer noch möglich. Man kann immer Daten austauschen, aber wenn es zu einer wesentlichen Verzögerung der Einleitung wichtiger Maßnahmen führt, ist es nicht sinnvoll.
Wenn die Knochenmarksleistung noch halbwegs gut ist, oder so, dass man damit leben kann, hat man durchaus die Zeit, eine Zweitmeinung einzuholen. Das muss mit dem betreuenden Arzt besprochen werden.
Ist eine akute lymphatische Leukämie heilbar?
Akute lymphatische Leukämien sind erfreulicherweise bei der Mehrzahl der Menschen heilbar. Bei Kindern ist die Heilbarkeit exzellent. Wenn sie an einer akuten lymphatischen Leukämie leiden, werden heute weit über 80 – 90% geheilt.
Bei Erwachsenen werden mehr als die Hälfte der Patienten geheilt.
Welche Erwachsene sind betroffen? Welche Altersstruktur liegt vor?
Die Altersverteilung ist zweigipfelig. Der eine Gipfel ist im jugendlichen bis jungen Erwachsenenalter. Den zweiten Gipfel stellen die alten und betagten Menschen dar. Die Häufigkeit mit zunehmendem Alter nimmt zu.
Mit welchen Symptomen kommen die Patienten zum Arzt?
Die Symptome sind meistens darauf zurückzuführen, dass bestimmte Blutkörperchen fehlen. Wenn rote Blutkörperchen fehlen, wirkt sich das in einer Verminderung der körperlichen Leistungsfähigkeit aus. Ein Mensch, der bisher locker in den dritten Stock gelaufen ist, muss plötzlich im ersten Stock stehenbleiben, weil er keine Luft mehr bekommt.
Die Symptome entwickeln sich meist nicht von einem Tag auf den anderen, weil ein direkter linearer Zusammenhang zwischen Menge an roten Blutkörperchen und Leistungsfähigkeit besteht.
Bei weißen Blutkörperchen führt der Mangel zu einer Abwehrschwäche. Der wirkt sich aber nicht linear aus. Man hat wenig weiße Blutkörperchen und irgendwann kommt ein Infekt, der nicht mehr weggeht. Das kann relativ harmlos beginnen. Zum Beispiel mit einem Infekt der oberen Atemwege, normaler Husten und Schnupfen, der bleibt. Im Blutbild sieht man, dass die Blutwerte weit außerhalb der Norm sind.
Die Blutplättchen wirken sich bei einem Mangel ebenfalls erst ab einer bestimmten Schwelle aus. Man kann eine relativ niedrige Anzahl haben, ohne etwas zu bemerken. Häufig wird wegen Kopfweh Aspirin genommen und damit die Blutstillung zusätzlich kompromittiert und plötzlich bekommt man eine Menge blauer Flecken.
Diese drei Symptome sind die häufigsten Beschwerden, mit denen Patienten zum Arzt gehen und üblicherweise sind Patienten sehr überrascht, dass sie vor einer katastrophalen oder schwerwiegenden Situation stehen. Die akuten Leukämien gehören zu den Erkrankungen, bei denen die Menschen von einem Tag auf den anderen aus dem Leben rausgerissen werden können und plötzlich Konsequenzen ziehen müssen, die sie sich nie haben träumen lassen.
Was bedeutet lymphatisch?
Lymphatisch ist eine Beschreibung der Mutterzellen, aus denen die Leukämie quasi entsteht. Die akuten lymphatischen Leukämien haben ihren Ursprung in einer Lymphzelle, die bösartig entartet ist.
Normalerweise sollten diese Lymphzellen ausreifen und am Schluss Antikörper produzieren, oder Viren auffressen oder irgendetwas Gutes machen. Die Entwicklung bleibt aber an irgendeiner Stelle stecken. Diese Lymphzellen kommen über das unreife Stadium nicht hinaus, funktionieren daher nicht gut und verdrängen die normalen Lymphzellen und Blutbildungszellen aus ihrem angestammten Ort. So kommt die Symptomatik dieser Erkrankungen zustande.
Die Lymphzellen gruppieren sich in die beiden Unterarten B-Lymphozyten und T-Lymphozyten. Die B-Lymphozyten sind die, aus denen die Antikörper produzierenden Zellen entstehen und die T-Lymphozyten sind diejenigen, die direkt Zellen abtöten können. Und diese zwei Reihen können jeweils entarten.
Es kann manchmal auch eine lymphatische Stammzelle entarten, die noch Zeichen beider Differenzierungsrichtungen hat. Aber man ordnet die Erkrankungen sozusagen nach der Mutterzelle ein, weil sich diese in ihrer Prognose etwas unterscheiden.
Was ist die Ursache einer akuten Leukämie?
Die zwei Hauptursachen sind unsere Natur und der Zufall. Alle Zellen bei uns können bei der Weitergabe von genetischen Informationen bei der Zellteilung von der Mutter- auf die Tochterzelle Fehler machen. Wenn in einer Zelle Fehler entstehen, die sie bösartig verändert, entstehen die Erkrankungen.
Bei den akuten lymphatischen Leukämien sind solche Genveränderungen die Hauptursache. Diese Genveränderungen entstehen nicht direkt durch bestimmte Ereignisse bei den meisten Patienten. Trotzdem können Menschen, die eine hohe Exposition mit Gengiften oder Bestrahlung etc. hatten, eine etwas größere Häufigkeit haben.
Bei den meisten Menschen kennt man aber kein auslösendes Ereignis, das die Erkrankung verursacht.
Können Kinder von Betroffenen auch erkranken? Gibt es einen genetischen Hintergrund?
Man muss bei Genetik immer ein bisschen aufpassen, wovon man redet. Genetische Veränderungen bei diesen Erkrankungen sind Genveränderung, die sich auf die Leukämiezelle beschränken.
Wenn Menschen von Genetik reden, meinen sie meistens Vererbung. Genetik hat mit Vererbung nur dann was zu tun, wenn die genetischen Veränderungen in den Eizellen oder in den Samenzellen sind. Wenn genetische Veränderungen in den Blutzellen sind, hat das mit Vererbung normalerweise nichts zu tun.
Daher gibt es Situationen, bei denen das Risiko für die Kinder etwas erhöht ist. Aber bei den meisten Patienten spielt es keine Rolle.